A 20: Wenn große Häfen kleine Zahlen schreiben
Oder: Prognosen sind auch keine Lösung …

Alles wird gut und immer besser in den deutschen Nordseehäfen. Wachstum allerorten, wohin das Auge blickt. Alle freuen sich, und die Hafenwelt bleibt schön – zumindest, wenn man der Seeverkehrsprognose für 2030 glaubt.

Diese Prognose hat das Bundesverkehrsministerium eigens anfertigen lassen. Zur Vorbereitung des Bundesverkehrswegeplans. Um verlässliche Daten zur Hand zu haben. Über den Güterumschlag. Und den Gütertransport. Damit das Ministerium bedarfsgerecht planen kann. Hinterlandanbindungen zum Beispiel. Ein stattliches Werk ist sie, diese Seeverkehrsprognose 2030: Ganze 211 Seiten voller Statistiken, Berechnungen, Auswertungen, Vorhersagen. Respekt!

Was meint sie denn so, die Prognose?

Aufgrund „des überdurchschnittlichen Wachstums der Containerverkehre nimmt das Umschlagsvolumen der elf betrachteten deutschen Nordseehäfen“ um 3,0 % pro Jahr zu – meint die Prognose. (S. 1f.)

„Der Containerumschlag der deutschen Seehäfen wird sich insgesamt von 13,0 Mio. TEU in 2010 auf 30,1 Mio. TEU in 2030 mehr als verdoppeln (+4,3 % p.a.) “ – meint die Prognose. (S. 2)

Tja. Liebes Bundesverkehrsministerium, ich will dir ja das Zahlenspiel nicht verderben, aber …

… dummerweise hat das Statistische Bundesamt am Mittwoch, 6.4.2016, eine Pressemitteilung herausgegeben, welche die tatsächlichen Zahlen nennt:

Faktisch ist der Güterumschlag im Seeverkehr im Jahr 2015 um 2,6 % gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen – komisch, die Prognose sprach doch von 3 % Wachstum pro Jahr?

Der Containerverkehr ist im Jahr 2015 sogar um 4,6 % niedriger ausgefallen als im Vorjahr – komisch, die Prognose sprach doch von 4,3 % Zuwachs pro Jahr?

Die Zahlen aus den einzelnen Häfen sehen auch nicht besser aus. Stagnation oder gar Rückgang bestimmen das Bild: In Hamburg ist der Containerumschlag im vergangenen Jahr um rund 9 % gesunken, wie „Der Spiegel“ berichtet. Seit 2008 hat Hamburg sogar 12 % Umschlagsverluste zu verzeichnen und Bremerhaven stagniert, schreibt die „taz“. Dass der JadeWeserPort in Wilhelmshaven trotz kleiner Hoffnungsschimmer weit hinter den Erwartungen zurückbleibt, ist kein Geheimnis.

Ärgerlich! Da hat man alles so schön vorhersagen lassen  – und dann kommt die Realität daher und kümmert sich nicht drum …

Vielleicht sollte das Bundesverkehrsministerium seine schicke Prognose lieber vergessen, denn  die guten, alten Zeiten kehren nicht zurück:

„Der frühere Maßstab, nach dem der Containertransport auf See fast drei Mal so stark zunahm wie die weltweite Wirtschaftsleistung, stimmt nicht mehr. Dies galt noch im ganzen ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends. Seither jedoch sinkt dieses Zahlenverhältnis, im vergangenen Jahr stieg die Containermenge auf Schiffen gerade noch um das 1,5-Fache des Weltwirtschaftswachstums“, so diagnostiziert „Die Welt“.

„Der Spiegel“ bewertet die Flaute in den Häfen sehr ähnlich:

„Die Konjunktur in China und Russland hat sich abgekühlt, der Welthandel wächst langsamer als in den Jahrzehnten zuvor. Die Globalisierung verliert an Dynamik, und die Häfen spüren diese Trendwende unmittelbar.“

Der Hamburger Wirtschafswissenschaftler Thomas Straubhaar, bis 2014 Direktor des dortigen Weltwirtschaftsinstituts, geht sogar noch weiter. Er stellt die grundsätzliche Frage, ob „das Handelsmodell der Ökonomen mit physischen Importen und Exporten überhaupt noch zeitgemäß ist.“

In einem Interview von „Spiegel Online“ stellt Straubhaar fest, dass wir gerade eine „Zeitenwende“ mit tiefgreifenden Veränderungen erleben:

„Die Globalisierung, wie wir sie früher gefeiert haben, mit Containern, Schiffen und Häfen, wird immer weniger relevant. Es kann ökonomisch nicht nachhaltig sein, Standardgüter zentral herzustellen und sie um die halbe Welt zu transportieren. Künftig wird wieder mehr vor Ort produziert, näher am Kunden. Wenn ich sehe, wozu 3D-Drucker fähig sind, wird sich da einiges tun.“

Straubhaar zieht das Fazit, dass der „klassische Güterhandel mit standardisierten Massenprodukten“ ein echtes „Auslaufmodell“ ist.

Echt schade um die schöne Seeverkehrsprognose 2030!

Liebes Bundesverkehrsministerium, könnte es sein, dass deine Planungen zum Teil weit am tatsächlichen Infrastrukturbedarf vorbeiführen? Ist aber nicht so schlimm, denn bislang ist der neue Bundesverkehrswegeplan ja nichts weiter als ein Entwurf. Und Entwürfe kann man ändern!

 


Quellen:

Auf der Suche nach den Containern, in: taz.nord, 9./10.4.2016, S. 53-57

Destatis/Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 120 vom 06.04.2016: Seeverkehr 2015: Güter­umschlag um 2,6 % zurück­gegangen. (Stand: 13.4.2016)

Die wundersame Auferstehung des Pleitehafens, in: Die Welt (Online-Ausgabe), 5.4.2016 (Stand: 13.4.2016)

MWP/IHS/UNICONSULT/Fraunhofer CML: Forschungsbericht FE-Nr. 96.980-2011. Verkehrsverflechtungsprognose 2030 sowie Netzumlegung auf die Verkehrsträger; Los 2 (Seeverkehrsprognose). Seeverkehrsprognose 2030. 9. Mai 2014 (Stand: 13.4.2016)

Notruf Hafenkante. In: Der Spiegel 15/2016, S. 54-57

Ökonom Straubhaar zur Globalisierung: „Der klassische Güterhandel ist ein Auslaufmodell“, in: Spiegel Online (Stand: 13.4.2016)

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