A 20: Landkauf kann so einfach sein!
Vom „vorzeitigen Grunderwerb“ und seinen üblen Tricks

3.448 Hektar – oder 34.480.000 Quadratmeter.

3.448 Hektar – oder rund 60 landwirtschaftliche Betriebe von durchschnittlicher Größe, denn nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes bewirtschaftet ein solcher Betrieb rund 58 ha (Stand 2012).

3.448 Hektar – oder eine Autobahn, denn so groß ist die Fläche, welche die geplante Autobahn A 20 nach Auskunft der Bundesregierung in Anspruch nehmen wird.

Wie wird diese riesige Fläche beschafft? Jetzt wird es spannend!

Antworten auf diese Frage findet man in der Drucksache des Deutschen Bundestages Nr. 18/5493 vom 8. Juli 2015. Hier antwortet die Bundesregierung auf eine „Kleine Anfrage“ der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Sven-Christian Kindler, Peter Meiwald und weiterer Abgeordneter sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Diese Drucksache hat es wirklich in sich – aber immer der Reihe nach. Wie also wird das Land, welches für den Autobahnbau notwendig ist, beschafft?

Normalerweise geht das so:

Die Autobahn A 20 wird von der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV) im Auftrag des Landes Niedersachsen geplant. Diese dürfen den Landkauf für ein Bauprojekt genehmigen – unter folgenden Bedingungen: Sie dürfen den Landkauf dann genehmigen und in die Wege leiten, wenn ihr Planungsvorentwurf dem Bundesverkehrsministerium (BMVI) vorgelegen hat, wenn dieses den sog. Gesehenvermerk erteilt hat und wenn „mit dem Baubeginn binnen der nächsten drei Jahre zu rechnen ist.“ (Drucksache, S. 2) Etwas später heißt es noch einmal ganz deutlich: „Nach den […] Regularien dürfen die Länder über den vorzeitigen Grunderwerb eigenständig entscheiden, wenn mit dem Baubeginn binnen der nächsten drei Jahre zu rechnen ist.“ (Drucksache, S. 3)

Das scheint zunächst einmal bedauerlich für das Land Niedersachsen und die NLStBV zu sein, denn im Falle der A 20 ist auf keinem einzigen Abschnitt mit einem Baubeginn innerhalb der nächsten drei Jahre zu rechnen. Das weiß auch die Bundesregierung. In ihrer Übersichtstabelle zum Planungsstand der A 20 gibt sie jedenfalls nur für den Abschnitt 1 und den Abschnitt 6 der Autobahn überhaupt eine Terminprognose für das voraussichtliche Vorliegen eines Planfeststellungsbeschlusses – also einer Baugenehmigung – ab. Bei den anderen fünf Abschnitten der Autobahn übt sie sich in vornehmer Zurückhaltung hinsichtlich aller voraussichtlichen Termine. Sie schweigt einfach dazu. Von etwelchen Baubeginnen ist nicht die Rede. (vgl. Drucksache, S. 10)

Aha, alles klar:

Nach den gültigen Regeln hat das Land Niedersachsen bzw. die Landesstraßenbaubehörde als dessen Vertreterin zum jetzigen Zeitpunkt offensichtlich keine Chance, mit dem Flächenerwerb für die Autobahn A 20 zu beginnen. Jetzt darf noch gar kein Land gekauft werden.

Land und Landesstraßenbaubehörde wollen aber jetzt schon Flächen kaufen – wie funktioniert das?

Ganz einfach: Bei der Planung der A 20 sind Regeln scheinbar dazu da, damit man sie verbiegen kann.

Das geht so:

Das Land Niedersachsen hat sich im Dezember 2014 beim Bundesverkehrsministerium die Genehmigung geholt, jetzt schon mit dem Landkauf zu beginnen. Dabei hat es wohl ganze Arbeit geleistet, denn das Bundesverkehrsministerium hat diese Genehmigung gleich pauschal für die gesamte Trasse der A 20 erteilt – unabhängig vom Planungsstand der einzelnen Abschnitte (vgl. Drucksache, S. 3)

Man muss halt flexibel sein!

Gemeinsam hat man sich offenbar darauf geeinigt, die gültigen Regeln „flexibel“ zu handhaben, denn in der „Kleinen Anfrage“ wurde folgende Frage gestellt:

„Bestehen zwischen dem BMVI und dem niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Absprachen, die eine flexible Auslegung bestehender Regelungen zum vorzeitigen Grunderwerb für Bundesfernstraßenvorhaben erlauben […]?“ (Drucksache, S. 3)

Die Antwort der Bundesregierung:

„Ja.“

Wie bitte? Ja???

Eigentlich reicht es mir ja jetzt schon. Doch es geht immer munter weiter:

In der „Kleinen Anfrage“ haben die Bundestagsagbeordneten sicherheitshalber nochmals nachgefragt, inwiefern „die im Dezember 2014 erteilte Zustimmung zum vorzeitigen Grunderwerb […] für alle Planungsabschnitte […] unabhängig von ihrem Planungsstand“ gilt.

In ihrer Antwort bestätigt die Bundesregierung erneut, dass dies genau so ist: Die Zustimmung des Bundes trifft auf alle Planungsabschnitte „unabhängig von ihrem Planungstand“ zu. (Drucksache, S. 4)

Aber die „Kleine Anfrage“ will es ganz genau wissen und fragt beharrlich noch einmal nach:

„Umfasst die Zustimmung auch die Planungsabschnitte, für die bisher kein ‚Gesehen-Vermerk‘ erteilt wurde […]? Wenn ja, warum?“ (Drucksache, S. 4).

Antwort der Bundesregierung:

„Die Zustimmung umfasst sämtliche Planungsabschnitte.“ (Drucksache, S. 4).

Damit ist die Antwort der Bundesregierung auf diese Frage beendet. Die Frage nach dem „Warum?“ wird offensichtlich einfach ignoriert.

Aber das ist noch nicht alles – es wird noch viel besser:

Irgendwie muss man es ja wohl begründen können, wenn man eine Ausnahme von den normalerweise gültigen Regeln machen will.

Die „Kleine Anfrage“ thematisiert natürlich auch diese mehr als berechtigte Frage nach der Begründung des Ganzen:

„Wie begründete das niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr seinen Antrag auf Zustimmung zum vorzeitigen Grunderwerb für das Vorhaben A 20 mit Elbquerung und Anschluss an die A 26 […] gegenüber dem BMVI?“ (Drucksache, S. 11)

Die Antwort der Bundesregierung darauf ist mein persönlicher Favorit im trickreichen Spiel um den Landkauf:

„Als Begründung hat das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr auf den erheblichen Flächenbedarf für die Trassen und die notwendigen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen verwiesen.“ (Drucksache, S. 5)

Noch einmal, ganz langsam und deutlich:

Es gibt allgemein gültige Regeln für den Kauf der Flächen, welche für einen jeden Autobahnbau gebraucht werden.

Es ist allgemein bekannt, nicht neu und auch nicht außergewöhnlich, dass man für den Bau einer jeden Autobahn riesige Flächen verbraucht.

Und im Falle der A 20 wird die Ausnahme von den Regeln damit begründet, dass ausgerechnet diese Autobahn Flächen verbraucht?

Ist diese Begründung nicht ein wenig dünn? Um nicht zu sagen: Fadenscheinig?

Fazit: Für mich hat das ganze Vorgehen um den „vorzeitigen Grunderwerb“ den Beigeschmack eines ziemlich üblen Tricks, zumal allen Beteiligten klar sein sollte, dass die Frage des Flächenverlustes durch den Bau der A 20 für manche auch eine Existenzfrage ist.

Mehr über die fatalen Folgen der geplanten A 20 für die Landwirtschaft erfahrt ihr im Kompendium Autobahn A 20.

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