„Küstenautobahn“: 10 Dinge, die Sie über den BVWP wissen sollten
Regierung beschließt BVWP – was bedeutet dies für die A 20?

Die Bundesregierung hat den Bundesverkehrswegeplan 2030 aus dem Hause des Verkehrsministers Alexander Dobrindt (CSU) am 3. August 2016 beschlossen. Die sog. „Küstenautobahn“ A 20 steht im „Vordringlichen Bedarf“ dieses Plans. Damit ist aber noch nichts über den tatsächlichen Bau der A 20 gesagt. Wann diese Autobahn gebaut wird und ob sie überhaupt je gebaut wird, ist nach wie vor völlig ungewiss.

Wenn man den Bundesverkehrswegeplan liest, kann man erfahren, dass über die A 20 noch lange nicht das letzte Wort gesprochen ist:

10 Dinge, die Sie über den Bundesverkehrswegeplan wissen sollten

1) Der BVWP ist kein Finanzierungsprogramm und hat keinen Gesetzescharakter.

Dies stellt nicht nur der BVWP selbst, sondern auch die Bundesregierung in ihrer Information zum Kabinettsbeschluss vom 3.8.2016 ausdrücklich klar.[1] Die Finanzierung wird erst in den sog. „Fünfjahresplänen“ geregelt. Außerdem beschließt der Bundestag in jedem Jahr, wie viel Geld aus dem Bundeshaushalt tatsächlich für die Verkehrsinfrastruktur ausgegeben wird. Gesetzescharakter haben erst die sog. „Ausbaugesetze mit Bedarfsplänen“.

2) Der BVWP ist nicht mehr als die Grundlage für Gesetzentwürfe der Bundesregierung.

Diese Entwürfe zur Änderung der sog. „Ausbaugesetze mit Bedarfsplänen“ sind von der Bundesregierung beschlossen worden. Doch es handelt sich um Entwürfe. Diese müssen noch im Bundestag diskutiert werden. Die endgültigen Ausbaugesetze mit Bedarfsplänen werden nicht von der Bundesregierung, sondern vom Bundestag verabschiedet. Erst dann sind die Ausbaugesetze mit Bedarfsplänen verbindlich.[2]

3) Im Bundestag sind durchaus noch Änderungen der Bedarfspläne möglich.

Im Textteil des BVWP wird unmissverständlich festgestellt:

„Der BVWP und die Bedarfspläne sind aufgrund von möglichen Änderungen im Rahmen der Parlamentsbefassung in der Regel nicht vollständig deckungsgleich.“[3]

Es könnte also durchaus sein, dass die A 20 es nicht schafft, in die Bedarfspläne aufgenommen zu werden.

4) Die Bedarfspläne werden alle fünf Jahre überprüft.

Bei dieser Überprüfung geht es um die Frage, ob die Bedarfspläne „an die aktuelle Verkehrs- und Wirtschaftsentwicklung angepasst werden müssen.“[4]

Der aktuelle BVWP gilt bis 2030. In diesem Zeitraum müssen die Bedarfspläne also noch drei Mal überprüft werden. Selbst wenn die A 20 nun den Sprung in die Bedarfspläne schaffen sollte, muss sie in der Zukunft also neuerliche Prüfungen bestehen, deren Ausgang offen ist.

5) Der BVWP sagt nichts über den Baubeginn von Projekten aus.

Der BVWP unterscheidet zwischen der Erhaltung bzw. dem Ersatz von vorhandenen Straßen einerseits und dem Aus- und Neubau von Straßen andererseits. Erhaltung und Ersatz genießen absoluten Vorrang.[5] Zum tatsächlichen Baubeginn der Aus- und Neubauprojekte trifft der BVWP keinerlei Aussage. Dieser hängt nämlich von vielen Faktoren ab:

„Zeitpunkt und Reihenfolge der Projektumsetzungen hängen letztlich von Dringlichkeit, Planungsstand und den verfügbaren Finanzmitteln ab.“[6]

6) Der „Vordringliche Bedarf“ ist nicht so dringlich, wie sein Name vermuten lässt.

Über die Dringlichkeit eines Projektes geben die  Bedarfskategorien des BVWP Aufschluss: Es gibt die „Laufenden und fest disponierten Projekte – Engpassbeseitigung“ (FD-E), die „Laufenden und fest disponierten Projekte“ (FD), den „Vordringlichen Bedarf – Engpassbeseitigung“ (VB-E), den „Vordringlichen Bedarf“ (VB), den „Weiteren Bedarf mit Planungsrecht“ (WB*) und schließlich den „Weiteren Bedarf“ (WB).[7]

Die Projekte der Kategorien FD-E und FD genießen laut BVWP absoluten Vorrang:

„Alle Laufenden und fest disponierten Vorhaben werden so schnell wie möglich fertiggestellt.“[8]

An zweiter Stelle stehen die Projekte des VB-E: Diese Projekte im „Vordringlichen Bedarf – Engpassbeseitigung“ haben „eine besonders hohe verkehrliche Bedeutung“ und sollen „deshalb frühzeitig umgesetzt werden“.[9] Außerdem sollen auch Ausbauprojekte, mit denen zugleich eine Straße erhalten bzw. ersetzt werden kann, „vorrangig umgesetzt werden.“[10]

Die A 20 ist in den VB eingestuft worden, also ins große Mittelfeld der Bauprojekte. Sie erfüllt keine einzige der genannten Bedingungen für eine bevorzugte Behandlung. Damit ist es unwahrscheinlich, dass sie bald gebaut wird.

Bundesverkehrswegeplan Schema A 20 August 2016
© Kirsten Erwentraut

7) Die Finanzierung des BVWP geschieht in kleinen Schritten.

Zur Finanzierung der Bauprojekte wird alle fünf Jahre ein Investitionsrahmenplan aufgestellt, auch „Fünfjahresplan“ genannt. Ein solcher Investitionsrahmenplan enthält die finanziellen Mittel

„für die Erhaltung bzw. den Ersatz der Bestandsnetze, für die Fortführung der bereits im Bau befindlichen Maßnahmen und für die Projekte mit weit fortgeschrittenem Planungsstand.“[11]

Die A 20 erfüllt die genannten Kriterien momentan allesamt nicht: Sie ist ein Neubauprojekt und gehört also nicht zum Bestandsnetz. Ihr Bau ist noch nirgendwo begonnen worden. Ihre Planung steht noch ganz am Anfang, denn bislang liegt für keinen einzigen ihrer Abschnitte ein rechtskräftiger Planfeststellungsbeschluss vor.

8) Die Finanzierung des BVWP ist längst nicht so sicher, wie sie scheint.

Das Geld aus dem Bundeshaushalt allein reicht nicht aus, um den BVWP zu finanzieren. Das Bundesverkehrsministerium ist auf „andere Säulen der Infrastrukturfinanzierung“ angewiesen.[12] Diese Säulen werden auch als „Investitionshochlauf“ bezeichnet. Dabei handelt sich um ein Finanzierungsprogramm, das sich aus den unterschiedlichsten Töpfen bedient und das –wenn überhaupt – nur für die nächsten paar Jahre tragfähig ist, nicht aber bis zum Ende der Geltungsdauer des BVWP im Jahr 2030. Das Finanzierungsprogramm besteht im wesentlichen aus drei Bausteinen: Zusätzliche Haushaltsmittel für die Verkehrsinfrastruktur,  Ausbau der Nutzerfinanzierung (Maut), Einbindung von privatem Kapital (Öffentlich-Private Partnerschaften).[13]

Die zusätzlichen Haushaltsmittel stehen offenbar nur bis 2017/18 zur Verfügung. Der BVWP selbst gibt zu bedenken, dass die Verkehrsinfrastruktur immer in „Konkurrenz zu anderen Aufgaben des Bundes“ steht und weist implizit darauf hin, dass der sog. Investitionshochlauf des Bundesverkehrsministeriums unter einem Akzeptanzmangel leidet.[14] Trotz der zusätzlichen Haushaltsmittel, die bis 2017/2018 bereitgestellt worden sind, klafft im BVWP schon in diesen ersten Jahren seiner Gültigkeit eine Finanzierungslücke: Bis zum Jahr 2018 sollen offensichtlich 14 Mrd. € pro Jahr zur Verfügung stehen.[15] Der BVWP rechnet allerdings damit, dass durchschnittlich 15 Mrd. € pro Jahr ausgegeben werden können.[16] So fehlt bereits jetzt 1 Mrd. € pro Jahr.

Bei der Finanzierung durch Mauteinnahmen rechnet das Verkehrsministerium die „Infrastrukturabgabe […] von den Haltern von nicht in Deutschland zugelassenen Pkw“ mit ein,[17] also die sog. Ausländermaut. Diese wird von der EU aber sehr kritisch gesehen. Ob sie jemals kommen wird, ist mehr als fraglich.

Das Finanzierungsmodell der Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP) ist höchst umstritten und wurde vom Bundesrechnungshof scharf kritisiert:

„Die ÖPP-Projekte im Bundesfernstraßenbau sind nach den Berechnungen des Bundesrechnungshofes deutlich teurer als die konventionelle Realisierung durch die öffentliche Hand.“[18]

9) Das finanzielle Volumen des BVWP 2030 ist kleiner, als es klingt.

Das Gesamtvolumen des BVWP 2030 wird mit 269,6 Mrd. € angegeben. Davon sind bis 2030 aber nur 226,7 Mrd. € eingeplant. Die restlichen 42,8 Mrd. € bilden die sog. „Schleppe“: Sie sind für Projekte vorgesehen, „die erst in einer späten Phase des BVWP-Zeitraums begonnen und nach 2030 zu Ende finanziert werden.“ Für neue Straßenbauvorhaben hat der BVWP 2030 insgesamt 19,4 Mrd. € eingeplant. [19] Auf die Geltungsdauer des BVWP umgerechnet sind das 1,29 Mrd. € pro Jahr.

Die Neubaukosten für die A 20 werden im BVWP mit 2,58 Mrd. € angegeben[20] – das bedeutet, dass allein die A 20 das komplette Budget für zwei Jahre verschlingen würde.

10) Der BVWP selbst gibt sich als Absichtserklärung zu erkennen.

Im BVWP finden sich zahlreiche Formulierungen, die deutlich machen, dass er eine reine Absichtserklärung ist und um die Begrenztheit der Finanzen weiß:

„Da die finanziellen Mittel für die Verkehrsinfrastruktur begrenzt sind, können zahlreiche Vorhaben voraussichtlich nicht bis zum Jahr 2030 begonnen werden.“[21]

Später heißt es:

„Es ist vorgesehen, die Vorhaben des VB/VB-E im Geltungszeitraum des BVWP bis zum Jahr 2030 umzusetzen bzw. zu beginnen.“[22]

Es ist eben nur vorgesehen – ob es tatsächlich so kommt, steht in den Sternen. Niemand weiß, was in den nächsten 15 Jahren geschehen und ob es nicht noch weitaus wichtigere und vor allem sinnvollere Dinge als die A 20 geben wird, die der Bund bezahlen muss.

 

 


Quellen:

[1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Bundesverkehrswegeplan 2030. August 2016, S. 8 (im folgenden zit. als „BVWP 2030″) (http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/BVWP/bvwp-2030-kabinettsplan.pdf?__blob=publicationFile) (Stand: 4.8.2016) und Die Bundesregierung: Bundesverkehrswegeplan 2030. Erhalt geht vor Neubau. In: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Die Bundesregierung. Aktuelles/Artikel, 3.8.2016 (https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/08/2016-08-03-bundesverkehrswegeplan-2030.html) (Stand: 4.8.2016)

[2] vgl. BVWP 2030, S. 8

[3] BVWP 2030, S. 8

[4] BVWP 2030, S. 8

[5] vgl. z. B. BVWP 2030, S. 3 und S. 13

[6] BVWP 2030, S. 8

[7] vgl. BVWP 2030, S. 75ff.

[8] BVWP 2030, S. 13

[9] BVWP 2030, S. 13

[10] BVWP 2030, S. 13

[11] BVWP 2030, S. 8

[12] BVWP 2030, S. 3

[13] vgl. BVWP 2030, S. 3

[14] BVWP 2030, S. 3

[15] vgl. BVWP 2030, S. 4

[16] vgl. BVWP, S. 15

[17] BVWP 2030, S. 3

[18] Bundesrechnungshof: Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO über Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) als Beschaffungsvariante im Bundesfernstraßenbau. Gz.: V3-2013-5166, 4.6.2014, S. 38 (https://www.gemeingut.org/wp-content/uploads/2014/06/2014-06-04_Bericht_BRH_zu_PPP_an_Haushaltsausschuss.pdf) (Stand: 4.8.2016)

[19] BVWP 2030, S. 15

[20] vgl. BVWP 2030, Projekt A20-G10-NI-SH, S. 114

[21] BVWP 2030, S. III

[22] BVWP 2030, S. 13

1 Kommentar

  • Es ist zu hoffen,daß statt der A20 die vorhandenen
    Bundesstraßen ausgebaut werden-partiell mit
    3-Spur.
    Hinsichtlich des Anspruchs auf Unversehrtheit ist
    eine weitere Zerstörung der Kleinfläche“ Cuxland“
    schon im Ansatz nicht verantwortlich,eine Besinnung auf Wilhelmshaven mit wirtschaftlichem
    Anspruch daraus für alle 4 Küstenländer wäre gescheit,!

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