Die A 20 und das weite Land
Küstenautobahn: 190 Millionen Quadratmeter schutzbedürftige Landschaft in Gefahr

Die Zahl ist unvorstellbar groß: 18.941,4 Hektar, also 189.414.000 Quadratmeter. Das entspricht einer Fläche von rund 26.530 Fußballfeldern, oder (diese Umrechnung liegt mir näher) rund 236.780 Reitplätzen.

18.941,4 Hektar – so riesig ist die Fläche der unzerschnittenen verkehrsarmen Räume, die nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums von der A 20 bedroht sind.[1]

Was ist ein „unzerschnittener verkehrsarmer Raum“?

Der Begriff ist sperrig und abstrakt: „Unzerschnittener verkehrsarmer Raum“, abgekürzt UZVR. Hinter diesem Wortmonster verbergen sich schöne und schützenswerte Landschaften, die miteinander in einem großen Zusammenhang stehen. Hier im Nordwesten Deutschlands sind es oft die typischen weiten Landschaften mit Wiesen und Weiden, mit Feldern und Wäldern.

Ein solcher Raum kommt zu seinem komplizierten Namen, weil er nicht von großen Verkehrswegen durchschnitten wird. Hier gibt es nur kleine Straßen mit wenig Verkehr. Hier gibt es keine bedeutenden Bahnstrecken, keine breiten Wasserstraßen und auch keine großen Ortschaften. Hier gibt es vor allem eins: Sehr viel Gegend – und vergleichsweise wenige Menschen.

Je größer ein unzerschnittenes Gebiet ist, desto schützenswerter ist es auch. Von besonderer Bedeutung sind unzerschnittene verkehrsarme Räume, die größer sind als 100 Quadratkilometer.

Was ist das Besondere eines unzerschnittenen verkehrsarmen Raumes?

Hier gibt es noch etwas, nach dem viele Menschen sich sehnen: Stille, Ruhe und Erholung. Raum zum Durchatmen. Eine Umgebung, in der man die Seele baumeln lassen kann. Hier kann man nicht nur wunderbar leben, sondern auch wunderbar Urlaub machen. Unzerschnittene verkehrsarme Räume werden nicht umsonst als „störungsarm“ oder „störungsfrei“ bezeichnet.

Außerdem ist eine Landschaft, in der es nur kleine Verkehrswege gibt, ein wichtiger Lebensraum für viele, auch seltene Tier- und Pflanzenarten. In dem großflächigen, zusammenhängenden Gebiet können die verschiedenen Populationen sich untereinander austauschen. Dies sichert den Bestand und damit die Vielfalt der Arten.

Landschaft steht nicht in unbegrenzten Mengen zur Verfügung. Deshalb sind unzerschnittene verkehrsarme Räume „eine endliche Ressource.“ Wenn diese Räume einmal zerstört sind, können sie „nicht oder nur mit sehr großem Aufwand wiederhergestellt werden.“[2]

Was geschieht mit einem unzerschnittenen verkehrsarmen Raum, wenn eine Autobahn durch ihn hindurch gebaut wird?

Diese Frage ist einfach zu beantworten: Dann ist dieser Lebens- und Erholungsraum zerschnitten und damit zerstört. Der Wert eines unzerschnittenen Raumes liegt ja gerade darin, dass er eben nicht zerschnitten ist, sondern ein großes Gebiet bildet, in dem alles mit allem zusammenhängt.

Die „Länderinitiative Kernindikatoren“ (LiKi), eine bundesländerübergreifende Arbeitsgemeinschaft der Umweltbehörden, beschreibt es so:

„Die anlage- und betriebsbedingten Auswirkungen der Infrastruktur tragen zunehmend zur Gefährdung von Tierarten und ihren Lebensräumen bei. Für Tierarten mit hohem Raumbedarf und großem Aktionsradius sind große unzerschnittene Lebensräume unabdingbar. Vor allem große Säugetiere mit hohem Raumbedarf können sich nur noch eingeschränkt in der Landschaft, d.h. ohne Überquerung des Straßennetzes bewegen. Die Mortalität dieser Arten auf Straßen mit hoher Belegung nimmt stark zu, wenn nicht gar eine Überquerung des Straßennetzes völlig unterbrochen wird. Die Begegnungsmöglichkeit von Tieren derselben Art ist eine wesentliche Bedingung für den Austausch der Gene und das Überleben der Population. Auch für das Naturerleben der Menschen und die Erholungsqualität ist es wichtig, Räume zu erhalten, die großflächig unzerschnitten und nicht verlärmt sind.“[3]

Daraus ergibt sich für die für die Gesellschaft – also für uns alle – „die Herausforderung, die noch vorhandenen großflächigen unzerschnittenen verkehrsarmen Gebiete als Frei-, Rückzugs- und Bewegungsraum für Tiere sowie als Naturerfahrungsraum zu erhalten“, wie das Bundesamt für Naturschutz eindringlich formuliert.[4]

In welchem Ausmaß sind unzerschnittene verkehrsarme Räume durch die A 20 bedroht?

Die geplante „Küstenautobahn“ A20 gefährdet vier unzerschnittene verkehrsarme Räume, die größer als 100 Quadratkilometer und damit besonders schützenswert sind:

Der Autobahnabschnitt 2, der westlich der Weser in der Wesermarsch liegt, führt mitten durch den erhaltenswerten Landschaftsraum, der von den Bundesstraßen  B 437 und B 211/212 begrenzt wird.

Östlich der Weser liegen die Autobahnabschnitte 5 und 6, die von Heerstedt über Bremervörde bis nach Elm verlaufen, nahezu vollständig in unzerschnittenen verkehrsarmen Räumen.

Der Abschnitt 7, der auf niedersächsischer Seite auf das Elbufer zuläuft, liegt etwa zu einem Drittel in einem unzerschnittenen verkehrsarmen Raum.

Die Hälfte aller Bauabschnitte der geplanten A 20 führt also durch Landschaftsräume, die es zu erhalten gilt, weil sie auch in Niedersachsen immer seltener anzutreffen sind: 189.414.000 Quadratmeter Fläche verlieren ihre Funktion als zusammenhängender Lebens- und Erholungsraum und werden vollständig entwertet.

Dabei stellt z. B. das Bundesamt für Naturschutz unmissverständlich fest:

„Bei allen Planungen und Entscheidungen ist darauf zu achten, dass möglichst viele Unzerschnittene Verkehrsarme Räume größer als 100 Quadratkilometer gesichert werden.“[5]

Die „Länderinitiative Kernindikatoren“ konstatiert:

„Ein niedriger Zerschneidungsgrad der Landschaft und große unzerschnittene Räume sind deshalb wesentliche Prüfsteine für eine nachhaltige Entwicklung.“[6]

Das Land Niedersachsen hingegen scheint keinen besonderen Wert auf die Erhaltung von Lebens- und Erholungsräumen und eine nachhaltige Entwicklung zu legen – es vertreibt sich die Zeit lieber mit der kostspieligen Planung überflüssiger Autobahnen.


Quellen:

[1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): Projektinformationssystem (PRINS) zum Bundesverkehrswegeplan 2030. Gesamtprojekt A20-G10-NI-SH (http://www.bvwp-projekte.de/strasse/A20-G10-NI-SH/A20-G10-NI-SH.html) (Abrufdatum: 14.1.2017)

[2] Bundesamt für Naturschutz (BfN): Unzerschnittene verkehrsarme Räume sind eine wertvolle endliche Ressource (https://www.bfn.de/infothek/daten-fakten/nutzung-der-natur/siedlung-und-verkehr/ii-42-1-unzerschnittene-verkehrsarme-raeume.html) (Abrufdatum: 14.1.2017)

[3] Länderinitiative Kernindikatoren (LiKi): B1 – Landschaftszerschneidung (https://www.lanuv.nrw.de/liki/index.php?indikator=13&aufzu=2&mode=indi) (Abrufdatum: 14.1.2017)

[4] Bundesamt für Naturschutz (BfN): Unzerschnittene verkehrsarme Räume sind eine wertvolle endliche Ressource (https://www.bfn.de/infothek/daten-fakten/nutzung-der-natur/siedlung-und-verkehr/ii-42-1-unzerschnittene-verkehrsarme-raeume.html) (Abrufdatum: 14.1.2017)

[5] Bundesamt für Naturschutz (BfN): Unzerschnittene verkehrsarme Räume sind eine wertvolle endliche Ressource (https://www.bfn.de/infothek/daten-fakten/nutzung-der-natur/siedlung-und-verkehr/ii-42-1-unzerschnittene-verkehrsarme-raeume.html) (Abrufdatum: 14.1.2017)

[6] Länderinitiative Kernindikatoren (LiKi): B1 – Landschaftszerschneidung (https://www.lanuv.nrw.de/liki/index.php?indikator=13&aufzu=2&mode=indi) (Abrufdatum: 14.1.2017)

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