A 20: Planungsbeschleunigung via Bundesfernstraßengesetz
Staatssekretär Ferlemann und Wahrheit, Bullshit oder Lüge

Worum geht es?

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will das Bundesfernstraßengesetz ändern und die Planung weiterer Infrastrukturprojekte beschleunigen. Zu diesem Zweck sollen zusätzliche Bauvorhaben in eine Liste aufgenommen werden, die bereits Bestandteil des Fernstraßengesetzes ist. Bei den gelisteten Projekten sind die  Klagemöglichkeiten von Bürgern und Verbänden eingeschränkt. Eine Klage ist ausschließlich vor dem Bundesverwaltungsgericht Leipzig als der höchsten Instanz möglich und nicht – wie sonst üblich – vor zwei Gerichtsinstanzen.

Die geplante Gesetzesänderung betrifft 46 Bauvorhaben, darunter auch die Autobahn A 20 in Niedersachsen und Schleswig-Holstein.[1]

Was sagte Staatssekretär Ferlemann dazu?

Enak Ferlemann (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und Bundestagsabgeordneter für Cuxhaven/Stade, äußerte sich im „Stader Tageblatt“ vom 13.1.2017 über den Gesetzentwurf.[2]

Staatssekretär Ferlemann begründete die Aufnahme der A 20 in die Liste der Projekte mit beschnittener Klagemöglichkeit „unter anderem mit der Verkehrssituation rund um Hamburg und mit der Anbindung der Seehäfen.“

Wörtlich wird er wie folgt zitiert:

„Hamburg ist schon jetzt eine sehr staugefährdete Region, und die Prognosen zeigen, dass […] der Verkehr weiter zunimmt. Wenn wir nicht schnell reagieren, droht dort der Verkehrsinfarkt“.

Worin unterscheiden sich Bullshit und Lüge?

Den Begriff „Bullshit“ könnte man zunächst mit „Humbug“ oder „heiße Luft“ ins Deutsche übersetzen. Er bezeichnet also eine spezielle Form des inhaltsleeren Geschwätzes.

Der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt widmete diesem Phänomen ein Manifest mit dem prägnanten Titel: „On Bullshit“. Frankfurt definiert den Bullshit sehr genau, indem er ihn von der Lüge abgrenzt.

In aller Kürze kann man die Erkenntnisse Frankfurts so zusammenfassen:

Eine Lüge hat immer einen Bezug zur Wahrheit, denn eine Lüge verdreht oder verfälscht diese Wahrheit. Ein Lügner muss die Wahrheit kennen oder zumindest glauben, sie zu kennen. Ohne diesen Bezug zur Wahrheit wäre keine Lüge möglich:

„Niemand kann lügen, sofern er nicht glaubt, die Wahrheit zu kennen. […] Wer lügt, reagiert auf die Wahrheit und zollt ihr zumindest in diesem Umfang Respekt. Ein aufrichtiger Mensch sagt nur, was er für wahr hält, und für den Lügner ist es unabdingbar, dass er seine Aussage für falsch hält.“[3]

Bullshit hingegen hat keinen Bezug zur Wahrheit:

„Der Bullshitter ist außen vor: Er steht weder auf der Seite des Wahren noch auf der des Falschen. Anders als der aufrichtige Mensch und als der Lügner achtet er auf die Tatsachen nur insoweit, als sie für seinen Wunsch, mit seinen Behauptungen durchzukommen, von Belang sein mögen. Es ist ihm gleichgültig, ob seine Behauptungen die Realität korrekt beschreiben. Er wählt sie einfach so aus oder legt sie sich so zurecht, dass sie seiner Zielsetzung entsprechen.“[4]

Ergebnisse aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030

Die A 20 und die Hinterlandanbindung der Seehäfen

Die Notwendigkeit der A 20 für die Hinterlandanbindung der Seehäfen lässt sich anhand der umfangreichen Unterlagen zum Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP) schwerlich belegen.[5]

Dazu hier nur ein Beispiel:

Ausweislich des „Methodenhandbuchs zum Bundesverkehrswegeplan 2030“ wurde der Seehafenhinterlandverkehr bei der Ermittlung der zukünftigen Verkehrsnachfrage berücksichtigt und in die Berechnung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses der Verkehrsprojekte einbezogen.[6]

Man kann also davon ausgehen, dass eine herausragende Bedeutung der A 20 für die Hinterlandanbindung der Seehäfen sich auch in einem herausragenden Nutzen-Kosten-Verhältnis dieser Autobahn hätte niederschlagen müssen.

Doch die A 20 hat ein schlechtes NKV von nur 1,9 vorzuweisen.[7]

Angesichts der herben Kritik des Bundesrechnungshofes an den Nutzen-Kosten-Berechnungen des Bundesverkehrsministeriums ist es angebracht, selbst dieses Ergebnis der A 20 noch mit Vorsicht zu genießen.[8]

Die A 20 und die Staubeseitigung

Laut „Methodenhandbuch“ ist es das erklärte Ziel des BVWP 2030, Engpässe im Verkehrsnetz zu beseitigen und Staus zu reduzieren:

„Für den Verkehrsträger Straße wird als Messgröße die Anzahl der Stunden pro Jahr mit hoher kapazitätsbedingter Staugefahr herangezogen.“[9]

Der BVWP 2030 kennt dementsprechend eine eigene Kategorie von Bauvorhaben, die der Beseitigung von Staubrennpunkten dienen sollen. Diese Kategorie heißt „Vordringlicher Bedarf-Engpassbeseitigung“.

Die A 20 aber ist mitnichten in diese Kategorie eingestuft worden. Sie steht nur im „Vordringlichen Bedarf“. [10] Die A 20 leistet also keinen maßgeblichen Beitrag dazu, Staustunden auf den Straßen zu vermindern.

Das wird auch anhand der Zahlen deutlich, die das Bundesverkehrsministerium für die Verkehrswirkung der A 20 ermittelt hat. Hier ist zwischen verlagertem und induziertem Verkehr zu unterscheiden. Verlagerter Verkehr ist Verkehr, der sich von anderen Straßen auf die A 20 verlagern wird. Induzierter Verkehr ist Verkehr, der allein dadurch entstehen wird, dass es die A 20 gibt: Die neue Straße erst löst „eine zusätzliche Nachfrage“ aus, die ohne die Straße „nicht entstanden wäre“.[11]

Der Anteil des verlagerten Pkw-Verkehrs auf der A 20 liegt bei nur 6,3%. Der Anteil des induzierten Verkehrs hingegen bei 93,7%.[12] Anders formuliert: Durch den Bau der A 20 würden 131,53 Millionen Pkw-Kilometer pro Jahr gefahren, die ohne die A 20 schlicht nicht gefahren würden.[13]

Ferner wird im BVWP 2030 unmissverständlich festgestellt, dass der Bund seine Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur „vorrangig auf die Bereiche Erhaltung bzw. Ersatz sowie die Engpassbeseitigung“ konzentrieren will.[14]

Eine vorrangige Umsetzung der A 20 würde mithin den verkehrs- und haushaltspolitischen Grundsätzen der Bundesregierung widersprechen.

Staatssekretär Ferlemann – Wahrheit, Bullshit oder Lüge?

Man sollte davon ausgehen können, dass ein Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium mit den Unterlagen zum BVWP 2030 vertraut ist.

Man sollte überdies davon ausgehen können, dass ein Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, der als Befürworter de A 20 bekannt ist, insbesondere mit den Unterlagen zu dieser Autobahn vertraut ist.

Sind die von Staatssekretär Ferlemann angeführten Begründungen für die Aufnahme der A 20 in die Liste der Projekte mit beschnittener Klagemöglichkeit nun eher als Wahrheit, als Bullshit oder als Lüge zu bezeichnen?

Darüber mag sich jeder selbst ein Urteil bilden.

 


[1] Verkehrsminister will Fernstraßenprojekte beschleunigen, in: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 5.1.2017 (https://www.hna.de/politik/verkehrsminister-will-fernstrassenprojekte-beschleunigen-7196133.html) (Abrufdatum: 18.1.2017)

[2] A 20: Freie Fahrt für die Küstenautobahn, in: Stader/Buxtehuder/Altländer Tageblatt, 13.1.2017 (http://www.tageblatt.de/lokales/aktuelle-meldungen_artikel,-A-20-Freie-Fahrt-fuer-die-Kuestenautobahn-_arid,1271666.html) (Abrufdatum: 18.1.2017)

[3] Frankfurt, Harry G.: Bullshit. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. eBook 2014, S. 24

[4] Frankfurt, Harry G.: Bullshit. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. eBook 2014, S. 24

[5] vgl. dazu z. B.: Koordinationskreis der Initiativen und Umweltverbände gegen die A 20: Stellungnahme zum Bundesverkehrswegeplan 2030, 29.4.2016, S. 21-67 (https://carlshof-jade-blog.de/wp-content/uploads/2016/05/BVWP_Stellungnahme-oeffentlich_KOK_2016-04-29_final_low.pdf)

[6] PTV Planung Transport Verkehr AG/ PTV Transport Consult GmbH/ TCI Röhling – Transport Consulting Internatio­nal/Mann, Hans-Ulrich Mann: Methodenhandbuch zum Bundesverkehrswegeplan 2030. FE-Projekt-Nr.: 97.358/2015. Entwurfsfassung. 8. März 2016, S. 73 (im Folgenden zit. als „Methodenhandbuch“) (http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/BVWP/bvwp-2030-methodenhandbuch.pdf?__blob=publicationFile) (Abrufdatum: 20.1.2017)

[7] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): Projektinformationssystem (PRINS) zum Bundesverkehrswegeplan 2030. Gesamtprojekt A20-G10-NI-SH (im Folgenden zit. als „PRINS“) (http://www.bvwp-projekte.de/strasse/A20-G10-NI-SH/A20-G10-NI-SH.html) (Abrufdatum: 20.1.2017)

[8] Bundesrechnungshof: Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO über die Plausibilisierung von Investitionskosten von Straßenbauprojekten zur Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans 2030. GZ.: V3-2015-5056/III, 23.3.2016 (https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/beratungsberichte/langfassungen/langfassungen-2016/2016-bericht-plausibilisierung-der-investitions-kosten-von-strassenbauprojekten-zur-aufstellung-des-bundesverkehrswege-plans-2030-pdf) (Abrufdatum: 20.1.2017)

[9] Methodenhandbuch, S. 252

[10] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Bundesverkehrswegeplan 2030, S. 117 (http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/BVWP/bvwp-2030-kabinettsplan.pdf?__blob=publicationFile) (Abrufdatum: 20.1.2017)

[11] Methodenhandbuch, S. 75

[12] Berechnet auf der Grundlage der Angaben im PRINS: Verlagerter Verkehr: 9,75 Mio. Pkw-km/a; induzierter Verkehr: 143,95 Mio. Pkw-km/a

[13] vgl. PRINS

[14] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Bundesverkehrswegeplan 2030, S. IV (http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/BVWP/bvwp-2030-kabinettsplan.pdf?__blob=publicationFile) (Abrufdatum: 20.1.2017)

3 Kommentare

  • Sehr geehrte Damen und Herren,

    wann sind Sie das letzte mal durch den Elbtunnel bei Hamburg gefahren? Die Strecke ist nun einmal ein Engstelle im Nord-Süd Transport innerhalb Europas. Durch eine zusätzliche Elbquerung würde diese Engstelle deutlich entlastet werden.
    Des Weiteren hat die Region Cuxland dadurch eine deutlich bessere Anbindung an die Metropolregionen Bremen/Oldenburg sowie Hamburg. Ich finde es bedenklich, dass Ihnen diese Region so wenig am Herzen liegt. Fragen Sie mal die Leute, die dort wohnen. Viele sind es ja leider nicht mehr und mehr werden es ohne die Autobahn auch nicht…..

    • Hallo Martin,

      danke für Ihren Kommentar, den ich gern gelesen habe, denn es ist immer gut, wenn man miteinander ins Gespräch kommt, nicht wahr?

      Zunächst möchte ich festhalten, dass ich sowie viele andere Kritiker der A 20 ja nicht nur „gegen die Autobahn“ sind. Wir sind ja vor allem auch für etwas: Für die Umsetzung von Alternativen zur A 20, die bestehende Verkehrsprobleme ebenso lösen können und zugleich vorteilhafter für Natur und Umwelt sind – eben weil uns die Regionen, die vom Bau der geplanten A 20 betroffen wären, sehr am Herzen liegen.

      Nicht minder liegt uns eine Diskussion am Herzen, die sich an belegbaren Fakten orientiert – eine solche ist in Zeiten wie diesen ja mehr als geboten. Aus dem von Ihnen kommentierten Artikel ist ja zu entnehmen, dass die A 20 eben nicht dazu beitragen wird, Staubrennpunkte zu beseitigen – dies ist das Ergebnis, zu dem der Bundesverkehrswegeplan 2030 kommt.
      Zum Stau im Elbtunnel stellt Prof. Eckhard Kutter von der TU Hamburg-Harburg fest, dass dieser „mit einem über 90%-igen Anteil“ aus den privaten und wirtschaftsseitigen Aktivitäten der Metropolregion Hamburg selbst entsteht. Daraus folgt, so Prof. Kutter, „dass weitere Elbtunnelröhren kaum den Stau total verhindern können, sondern weitere Anreize zur Nutzung bieten“ (Informationen zur Raumentwicklung, Heft 6, 2004).

      Zur Anbindung der Region Cuxland an die Metropolregion Bremen/Oldenburg sowie Hamburg möchte ich darauf verweisen, dass eine Verbindung zwischen Mittelzentren und Metropolregionen kein relevanter Bewertungsmaßstab der Raumwirksamkeitsanalyse des BVWP 2030 ist. Bei den Mittelbereichen kommt es auf die Erreichbarkeit von Oberzentren, Autobahnen, Bahnhöfen und Flughäfen an. Dem Mittelbereich Cuxhaven bescheinigt der BVWP 2030 dabei ein nur geringes Defizit (vgl. Methodenhandbuch zum BVWP und Projektinformationssystem PRINS).

      Ob der Bau einer Autobahn den Bevölkerungsrückgang in einer ländlichen Region stoppen kann, ist eine viel diskutierte Frage. Die Situation im Landkreis Nordwestmecklenburg, in dem es die A 20 bereits gibt, scheint mir jedoch sehr dafür zu sprechen, dass die erhofften positiven Effekte ausbleiben. Vielleicht haben Sie Lust, meinen betreffenden Artikel zu lesen: „Wirtschaftliche Vorteile der Gemeinde Jade durch die A 20? Aktuelle Prognosen des Bundesverkehrsministeriums“.

  • Vom Meeresstrand zum Alpenrand
    und auch noch quer durch dieses Land
    verspricht, was er nicht halten kann:
    Priorität! der Ferlemann

    Das hat für die Bundesregierung höchste Priorität. Wir brauchen die A 39 und wir brauchen sie möglichst schnell.
    Ferlemann, Lüneburg, 27.05.2010

    Für das BMVBS hat eine leistungsfähige Anbindung der A281 an die A1 in Höhe des Arster Zubringers absolute Priorität
    Ferlemann, Bremen, 22.02.2011

    Das Bundesverkehrsministerium habe die Priorität der B56n bei den neuen Straßen für das Rheinland klar erkannt.
    Ferlemann, Berlin, 15.04.2011

    Der Staatssekretär machte deutlich, dass die A39 weiterhin hohe Priorität für den Bund genießt …
    Ferlemann, Lüneburg, 3.03.2012

    „Es ist wohl mit das wichtigste verkehrspolitische Projekt in ganz Deutschland, dass wir den Knoten Hamburg leistungsfähig ausbauen“
    Ferlemann, Hamburg,24.05.2013

    Auch der Bau der A 39 zwischen Wolfsburg und Lüneburg habe laut Ferlemann eine sehr hohe Priorität, …
    Ferlemann, Braunschweig, 14.04.2014

    Lärmschutz hat in unserer Verkehrspolitik höchste Priorität. Wir haben in den letzten Jahren ein ganzes Bündel wichtiger Maßnahmen gegen den Schienenlärm umgesetzt: …
    Ferlemann, Berlin, 2.07.2014

    Die A14 hat oberste Priorität bei uns.
    Ferlemann, Berlin, 25.02.2015

    … hätte eine Stärkung der Hinterlandanbindung der Seehäfen im Norden Priorität.
    Ferlemann, Bremen, 16.04.2015

    Die Finanzierung steht, die A 45 hat oberste Priorität für das Ministerium. „Auch wenn die Fachleute noch rechnen, das Projekt wird klappen“, versprühte Ferlemann Optimismus.
    Ferlemann, Hagen, 12.05.2015

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