A 20: Der kleine König IHK
Der Niedersächsische Industrie- und Handelskammertag und die Demokratie

Früher war alles besser. Früher, da gab’s nämlich noch einen König. Einen absoluten Herrscher also. Der hatte das Sagen. Gesetze brauchten ihn nicht sonderlich zu interessieren. Andere Meinungen auch nicht. Er konnte einfach alles so machen, wie es ihm gefiel.

Das war super. Für den König.

Und dann gab’s da noch die Untertanen. Die waren vor allem zum Gehorchen da. Nicht zum Denken. Sie dachten aber doch nach. Über den König zum Beispiel. Oder über das, was der König so vorhatte. Das durften sie aber nicht sagen.

Das war blöd. Für die Untertanen.

Heute ist alles anders. Heute leben wir in einer Demokratie. Die funktioniert, weil sie die Bürger mitdenken lässt. Mitreden natürlich auch. Das nennt man Öffentlichkeitsbeteiligung.

Das ist gut. Für die Bürger und für die Demokratie.

Für die Öffentlichkeitsbeteiligung gibt es bestimmte Regeln. Die nennt man Gesetze oder Richtlinien. Manche dieser Regeln betreffen die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Bundesverkehrswegeplan. Die EU-Richtlinie 2003/35/EG zum Beispiel. Dort ist festgeschrieben, dass „die Öffentlichkeit das Recht hat, Stellung zu nehmen und Meinungen zu äußern, wenn alle Optionen noch offen stehen und bevor Entscheidungen über die Pläne und Programme getroffen werden“ und dass „das Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Entscheidung angemessen berücksichtigt“ werden muss.[1]

Der Niedersächsische Industrie- und Handelskammertag (NIHK) allerdings, der sieht das offenbar ganz anders. Der wäre wohl lieber wieder König. So ein richtiger König, der könnte nämlich vorab schon mal bestimmen, wie der Hase laufen soll. Auf die Meinung der Bürger könnte er pfeifen.

In einer Broschüre mit dem schönen Titel „Infrastrukturpolitik ist Standortpolitik“ warnte der NIHK davor, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Bundesverkehrswegeplan „als Instrument missbraucht“ werden könnte, „politisch strittige, aber wirtschaftlich wichtige Straßenbauprojekte zu verhindern“. Seiner Ansicht nach „darf es bei den […] vordringlichen Verkehrsprojekten für Niedersachsen also nicht mehr um das ‚Ob’, sondern bestenfalls um das ‚Wie’ der Realisierung gehen.“ Außerdem sollte die Politik zusammen mit der Wirtschaft, so wünschte es sich der NIHK im Vorfeld der Neuaufstellung des Bundesverkehrswegeplans, „eine Kampagne Pro Infrastruktur starten“, um die „schweigende Mehrheit“ in Unternehmen und Belegschaften sowie „sonstige Befürworter von Infrastrukturprojekten“ im Sinne des NIHK zu mobilisieren.[2]

Wie bitte?? Habe ich das richtig verstanden??

Wenn Bürger, Verbände oder Organisationen in der öffentlichen Diskussion eine andere Meinung als der NIHK vertreten, dann ist das ein Missbrauch des fundamentalen demokratischen Rechtes auf Beteiligung und Mitsprache?

Wenn aber Bürger, Unternehmen, Arbeitnehmer oder wer auch immer in der öffentlichen Diskussion die gleiche Meinung wie der NIHK vertreten, dann ist das ein wichtiger Faktor der Entscheidungsfindung?

Wenn ein Infrastrukturprojekt politisch umstritten ist, dann will der NIHK eine drohende Niederlage vermeiden, indem er die politische Diskussion ausschaltet und vorab Fakten schaffen lässt?

Lieber NIHK,

das ist nicht dein Ernst – oder?

Falls du es noch nicht gemerkt haben solltest: Die Zeiten des Sonnenkönigs Ludwig XIV. sind vorbei. Der regierte vor über 300 Jahren. Die ihm zugeschriebene Definition des Staates – „Der Staat bin ich!“ – ist inzwischen ebenso aus der Mode gekommen wie die dazugehörige Allongeperücke. Unsere heutige Staatsform heißt nicht mehr Absolutismus, sondern: DEMOKRATIE.

Lieber NIHK,

wenn du nicht so genau weißt, was Demokratie bedeutet und welche Rolle der Bürger in ihr spielt, dann kannst du ja mal ein bisschen auf den Internetseiten des Niedersächsischen Kultusministeriums herumstöbern, unter dem Stichwort „Politische Bildung“.[3]

Dort kannst du dir auch Arbeitsblätter zur Demokratieerziehung in der Grundschule anschauen, zum Thema Meinungspluralismus.[4] Ist ja vielleicht nicht schlecht, wenn du ganz von vorn anfängst. So viel sei dir schon verraten: Heutzutage sollen schon die Grundschüler lernen, dass die Meinungsvielfalt ein elementarer Bestandteil der Demokratie ist.

Lieber NIHK,

wenn du die Grundschularbeitsblätter durchgelesen hast, dann hast du ja vielleicht noch Lust, dich doch noch ein bisschen mit Gesetzen und Gerichtsurteilen zu beschäftigen. Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zum Austritt einzelner Kammern aus dem Dachverband DIHK zum Beispiel. Da hat das Gericht nämlich entschieden, dass die IHKs sogar in ihren eigenen Reihen darauf achten müssen, Minderheitspositionen zu berücksichtigen sowie stets sachlich und objektiv zu bleiben. Ach ja, und ihren gesetzlich vorgeschriebenen Kompetenzrahmen dürfen sie auch nicht verlassen, die IHKs.[5]

Lieber NIHK,

nach der Lektüre könnten deine Mitglieder ja alle gemeinsam mal ein bisschen darüber nachdenken, wo die Grenzen des Lobbyismus liegen … [6]


Quellen:

[1] Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, Artikel 2, Absatz 2b) und 2c) (http://www.umweltbundesamt.at/fileadmin/site/umweltthemen/umweltpolitische/UVP/200335EG.pdf) (Stand: 29.6.2016)

[2] Niedersächsischer Industrie- und Handelskammertag (NIHK) (Hrsg.): Infrastrukturpolitik ist Standortpolitik. Wirtschaftswachstum braucht Verkehrswachstum. August 2014, S. 10 (http://www.n-ihk.de/blob/nitag/publikationen/Positionen/895000/dcb0d09af6130ba23e15efcc6d984331/Infrastrukturpolitik_ist_Standortpolitik-data.pdf) (Stand: 29.6.2016)

[3] Niedersächsisches Kultusministerium: Politische Bildung. (http://www.mk.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=1849&article_id=6501&_psmand=8) (Stand: 29.6.2016)

[4] Institut für Demokratieforschung/Projekt Kinderdemokratie/Georg-August-Universität Göttingen in Kooperation mit dem Niedersächsischen Kultusministerium (Hrsg.): Meinungspluralismus. (= Arbeitsblätter zur Demokratieerziehung in der Grundschule, 1. Jg. 2013) (http://www.demokratie-goettingen.de/content/uploads/2013/01/Arbeitsblätter-zur-Demokratieerziehung-in-der-Grundschule.pdf) (Stand: 29.6.2016)

[5] Bundesverwaltungsgericht: Kammermitglied kann Austritt seiner IHK aus dem Dachverband verlangen, wenn dieser sich allgemeinpolitisch betätigt. Pressemitteilung Nr. 23/2016, 23.3.2016 (http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2016&nr=23) (Stand: 29.6.2016)

[6] vgl. Öchsner, Thomas: Bundesrichter setzen Lobbyisten Grenzen. In: Süddeutsche Zeitung/SZ.de, 23.6.2016 (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/urteil-bundesrichter-setzen-lobbyisten-grenzen-1.3047634) (Stand: 29.6.2016)

2 Kommentare

    • Das ist gut, denn je mehr Leser auf die – nun, sagen wir: denkwürdigen – Ansichten des NIHK aufmerksam werden, um so besser ist es, zumal die Frage erlaubt sein muss, ob dergleichen Äußerungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung sich noch innerhalb des Kompetenzrahmens der IHKs bewegen, den das Bundesverwaltungsgericht ihnen in seinem Urteil vom 23.3.2016 in Erinnerung gerufen hat.

Schreibe einen Kommentar