10 Fakten über das Beschleunigungsgesetz und die „Küstenautobahn“
A 20: Politics by decibel

Manchen ist es wohl aus ihrem Job bekannt: Das „Management by decibel“. Mit dieser Strategie wird einer Meinung allein durch Lautstärke Gehör verschafft. Argumente? – Fehlanzeige! Wer will sich schon mit langwierigen Begründungen aufhalten, wenn man ohne sie viel lauter brüllen kann?

Die Dezibel-Strategie ist auch in der Politik sehr beliebt. In Niedersachsen beispielsweise wird gerade ziemlich laut gebrüllt. Anlass des Geschreis ist die Autobahn A 20 und das Beschleunigungsgesetz. Die „Nordwest-Zeitung“ brüllte heute auf der Titelseite und in einem Kommentar.[1] Enak Ferlemann (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, brüllte in der „Bremervörder Zeitung.“[2] Björn Thümler (CDU) und Jörg Bode (FDP) brüllten schon am Freitag in Pressemitteilungen.[3] Angebrüllt wird schwerpunktmäßig der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel (Die Grünen).

Lassen wir das Gebrüll einfach beiseite und wenden wir uns den Fakten zu!

Worum geht es?

  1. Bundesverkehrsminister Dobrindt (CSU) hat einen Gesetzentwurf vorgelegt. Inhalt dieses Entwurfs ist eine Liste mit Straßenbauprojekten, deren Planung beschleunigt werden soll, indem die Klagemöglichkeiten gegen diese Projekte eingeschränkt werden: Eine Klage ist ausschließlich vor dem Bundesverwaltungsgericht, also vor der höchsten Gerichtsinstanz, möglich. Die üblicherweise in erster Instanz zuständigen Oberverwaltungsgerichte werden übersprungen.
  1. Diese Möglichkeit, den Klageweg für ausgewählte Bauprojekte zu verkürzen, gibt es schon seit 1991. Sie ist allerdings als Ausnahmeregelung für Ausnahmesituationen gedacht.
  1. Ein kurzes Teilstück der A 20 stand schon zuvor auf der Liste. In Dobrindts aktuellem Gesetzentwurf ist die A 20 in gesamter Länge gelistet – ca. 200 Kilometer von Westerstede in Niedersachsen bis nach Weede in Schleswig-Holstein.

Welchen Weg hat der Gesetzentwurf bisher im Bundesrat genommen?

  1. Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf am 27.1.2017 zum Zweck der Stellungnahme an den Bundesrat gesandt.[4]
  1. Der Verkehrs-, der Finanz- und der Umweltausschuss des Bundesrates haben am 27.2.2017 ihre Empfehlungen zum Gesetzentwurf abgegeben.[5]
  1. Der Umweltausschuss hat dafür plädiert, die A 20 von der Liste der Projekte mit beschnittener Klagemöglichkeit zu streichen. Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass die verkürzte Klagemöglichkeit den Rechtsschutz einschränke. Eine solche Einschränkung solle bei umstrittenen Verkehrsprojekten wie der A 20 vermieden werden. Dieser Meinung ist offenbar auch Stefan Wenzel.
  1. Der Gesetzentwurf stand am 10.3.2017 auf der Tagesordnung des Bundesrates. Sowohl der Gesetzentwurf als auch die Empfehlung der Ausschüsse waren bereits im Vorfeld der Bundesratssitzung im Internet einsehbar und leicht zu recherchieren. Die Position des Umweltausschusses hätte also jedem (auch jedem auf Landesebene politisch aktiven Niedersachsen) frühzeitig bekannt sein können. Der Bundesrat ist der Empfehlung des Umweltausschusses indes nicht gefolgt: In der abschließenden Stellungnahme des Bundesrates steht die A 20 nach wie vor in gesamter Länge auf der Liste der Projekte mit eingeschränkter Klagemöglichkeit.[6] Nun wird der Gesetzentwurf im Bundestag weiter diskutiert werden.

Worin liegt das eigentliche Problem?

  1. Problematisch ist die fadenscheinige Begründung, mit der die A 20 auf die Liste der Projekte mit beschnittener Klagemöglichkeit gekommen ist: Angeblich soll die A 20 dazu dienen, schwerwiegende Verkehrsengpässe zu beseitigen.
  1. Eine solche Funktion wird der A 20 im Bundesverkehrswegeplan 2030, der ja erst im Dezember letzten Jahres beschlossen worden ist, nicht bescheinigt. Wie sollte sie auch? Der Anteil des Pkw-Verkehrs, der sich von anderen Straßen auf die A 20 verlagern wird, liegt nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums bei 6,3%. Das sind ungefähr 900 Pkw am Tag.[7] Zum Vergleich: Durch den A7-Elbtunnel fuhren im Jahr 2015 rund 97.000 Pkw am Tag.[8] Können die 900 Pkw auf der A 20 da wirklich ins Gewicht fallen? Wohl kaum!
Abb.: A 20 Nie!
Abb.: A 20 Nie!
  1. Dem Bundesrat wäre es möglich gewesen, die A 20 von der Beschleunigungsliste zu tilgen. Ein Teilstück der A 100 ist gestrichen worden – und die Begründung ließe sich durchaus auf die A 20 übertragen:

„Die Beschränkung des Rechtswegs bei Planfeststellungsverfahren auf das Bundesverwaltungsgericht als erste und einzige Gerichtsinstanz ist nur in Ausnahmesituationen wie im Zuge von Infrastrukturprojekten nach der Wiedervereinigung oder für dringend benötigte Ersatzneubauten für marode Brückenbauwerke an Hauptverkehrsachsen zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund und angesichts des sehr frühen Planungsstadiums ist die Notwendigkeit der Aufnahme des 17. Bauabschnittes der A 100 und der Beschränkung des Rechtsweges nicht gegeben.“[9]

Fazit: Das lautstarke Gebrüll trifft die Falschen.

Nach dem Gesetzentwurf des Bundesverkehrsministers sollen Bürger also nur noch eingeschränkt gegen die A 20 klagen können – gegen eine Autobahn, der jegliche stichhaltige Begründung für eine solche Beschneidung der Klagerechte fehlt.

Hierin ist der wahre Skandal zu sehen.

Sowohl der Umweltausschuss des Bundesrates als auch der niedersächsische Umweltminister Wenzel haben ein absolut triftiges Argument vorgebracht, das gegen die A 20 im Beschleunigungsgesetz spricht.

Gute Argumente aber will und kann kaum jemand hören – rundherum wird ja viel zu laut gebrüllt …

 


Quellen:

[1] Wirtschaft wütend auf Wenzel, in: NWZ, 14.3.2017 (http://www.nwzonline.de/politik/wirtschaft-wuetend-auf-wenzel_a_31,2,2613345338.html) (Abrufdatum: 14.3.2017); Mit allen Mitteln, in: NWZ, 14.3.2017 (http://www.nwzonline.de/kommentare-der-redaktion/mit-allen-mitteln_a_31,2,2613333923.html) (Abrufdatum: 14.3.2017)

[2] „Falschspielerei“ des Landes im Bundesrat?, in: Bremervörder Zeitung, 14.3.2017

[3] Thümler: Rot-grüner Dauerstreit verhindert Umsetzung zentraler Infrastrukturvorhaben in Niedersachen. Pressemitteilung, 10.3.2017 (http://www.cdu-fraktion-niedersachsen.de/presse/thuemler-rot-gruener-dauerstreit-verhindert-umsetzung-zentraler-infrastrukturvorhaben-in-niedersachen/) (Abrufdatum: 14.3.2017); Jörg Bode: Grüne schaden mit ihrer Ideologie dem Land. Pressemitteilung, 10.03.2017 (http://fdp-fraktion-nds.de/joerg-bode-gruene-schaden-mit-ihrer-ideologie-dem-land-ministerpraesident-muss-umweltminister-wenzel-an-die-kette-legen/) (Abrufdatum: 14.3.2017)

[4] Bundesrat: Drucksache 71/17, 27.1.2017 (http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0001-0100/71-17.pdf?__blob=publicationFile&v=1) (Abrufdatum: 14.3.2017)

[5] Bundesrat: Drucksache 71/1/17, 27.2.2017 (http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0001-0100/71-1-17.pdf?__blob=publicationFile&v=1) (Abrufdatum: 14.3.2017)

[6] Bundesrat: Drucksache 71/17 (Beschluss), 10.3.2017 (http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0001-0100/71-17(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1) (Abrufdatum: 14.3.2017)

[7] Berechnung auf der Grundlage der Angaben in: BMVI: Projektinformationssystem (PRINS) zum BVWP 2030 (http://www.bvwp-projekte.de/strasse/A20-G10-NI-SH/A20-G10-NI-SH.html) (Abrufdatum: 14.3.2017)

[8] Berechnung auf der Grundlage der Angaben in: Bundesanstalt für Straßenwesen: Manuelle Straßenverkehrszählung 2015. Ergebnisse auf Bundesautobahnen, 26.1.2017, S. 9 (http://www.bast.de/DE/Statistik/Verkehrsdaten/2015/Autobahnen-2015.pdf?__blob=publicationFile&v=4) (Abrufdatum: 14.3.2017)

[9] Bundesrat: Drucksache 71/17 (Beschluss), 10.3.2017, S. 3 (http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0001-0100/71-17(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1) (Abrufdatum: 14.3.2017)

2 Kommentare

  • Hallo Kirsten,

    schicke Deinen Kommentar bitte als Ganzes oder die wesentlichen Punkt zusammengefaßt als Leserbrief an die NWZ.
    Da steckt soviel Detailwissen drin, mit dem sich die Betonköpfe mal auseinandersetzen sollen.

    Danke und viele Grüße
    Jochen

    • Hallo Jochen,

      grundsätzlich ist das eine ausgezeichnete Idee – aber ich denke, es wäre verschwendete Zeit, wenn ich die wichtigsten Punkte des Artikels zu einem Leserbrief an die NWZ zusammenfassen würde. Es ist ja kein Geheimnis, dass die „überparteiliche“ NWZ „pro A 20“ schreibt, und sie ist sehr geschickt darin, kritische Stimmen nicht eben deutlich zu Wort kommen zu lassen … Da ich nicht nur die A 20, sondern auch die NWZ hier und an anderer Stelle massiv kritisiert habe, kann ich mir einen Leserbrief vermutlich getrost schenken 😉

      Aber ich freue mich natürlich darüber, dass dir der Artikel gefällt!

      Viele Grüße zurück sendet Kirsten

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